1. Zu meiner Photographie ...................................................................english

Mein Interesse an der Photographie entspringt einem Bedürfnis nach Selbstausdruck
und der Erforschung existenzieller Lebensfragen. Im Mittelpunkt meiner Arbeit steht die
Suche des Menschen nach Individualität. In Auseinandersetzung mit meiner eigenen
Lebenserfahrung bewegen mich Fragen nach der Bedeutung von Individualität.
Danach, wie sie gelebt und ausgedrückt wird. Ich erforsche die Schnittstelle, an der sich
der Einzelne mit seiner ihm eigenen Persönlichkeit, in seiner Umwelt darstellt. Mich als
gesellschaftliches Wesen begreifend, möchte ich meine Eindrücke, so wie ich sie erfahre,
mit meinen Bildern zur Diskussion stellen.

Ich verstehe Photographie nicht als Medium zur Darstellung einer objektiven Wahrheit.
Schon die Motivauswahl und die Bildgestaltung sind Ergebnis einer subjektiven
Entscheidung. Von daher arbeitet Photographie immer mit den Möglichkeiten der
Inszenierung. Die Verknüpfung von subjektiver Bildgestaltung und der auf dem Bild
erkennbaren Wirklichkeit, lässt den Betrachter sehr leicht die vermittelnde Funktion
von Photographie vergessen. Er glaubt, mit Hilfe des Bildes die Siuation selbst zu sehen.
Dabei handelt es sich jedoch bei einer Photographie um eine künstlerische Dramatisierung.

Am Prozess des Photographierens fasziniert mich die Möglichkeit, erlebte Momente
als Bild fixieren und eine Essenz aus dem Geschehen herausarbeiten zu können.
Diese verschiedenen Realitätsfragmente setze ich in Beziehung zueinander und
komponiere so meine Bildserien. Wenn ich photographiere, beobachte ich die
Menschen sehr genau. Ich wähle die Momente aus, von denen ich glaube, dass
sie die Dargestellten in ihrer Lebenssituation glaubwürdig portraitieren. Doch
welche Bilder ich aus dem Geschehen herausgreife, und welche Aussage ich
durch die Kombination meiner Bilder formuliere, bleibt die subjektive Entscheidung
von mir. Den Dargestellten gegenüber empfinde ich eine Verantwortung und wäge
daher sehr genau ab, in welchen Situationen ich photographiere und welche Bilder
ich öffentlich zeige.

2. Themen

Meine Themenfindung stellt eine Reflexion meiner eigenen Geschichte dar.
Schwerpunktmässig habe ich mich in den Jahren 1985 - 1995 mit den Deutschen
Volksfesten
, Colossal Youth und " Wie in einen Spiegel schauen " beschäftigt.

2.1 Deutsche Volksfeste





In den Jahren 1985 - 1986 sind die Deutschen Volksfeste zuerst aus eigenem
Interesse und von 1989 - 1991 als Auftragsarbeit für den STERN entstanden.
Meine Bilder habe ich bei Volksfesten und Brauchtümern in verschiedenen
Regionen Westdeutschlands photographiert. In Erinnerung an meine eigene
Kindheit sah ich bei den Deutschen Volksfesten Kinder in Situationen, in die ich
mich emotional hineinversetzen konnte. Mein erstes Interesse war zu zeigen,
wie Kinder von ihren Eltern geprägt werden, wenn diese ihnen vorscheiben,
wie sie sich in Gesellschaft mit Erwachsenen zu benehmen haben. Die Kinder,
wurden für die Festlichkeiten ordentlich gekleidet und die Eltern waren auf
das Erscheinungsbild ihrer Kinder stolz. Volksfeste sind Anlässe, bei denen
sich die Menschen in der Öffentlichkeit präsentieren. Ausgehend von der
Idee, mit meinen Bildern der Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten, habe ich
mich bei den Bildern, die ab 1989 als Auftragsarbeit entstanden, mit der
Selbstdarstellung des Einzelnen in Gesellschaft mit Anderen beschäftigt.

2.2. Colossal Youth







In Auseinandersetzung mit meiner eigenen Jugend ist von 1988 - 1990 der
Zyklus Colossal Youth in Essen entstanden. Das Lebensgefühl der Menschen,
die ich bei dieser Arbeit photographierte, erinnerte mich entfernt an mein eigenes
Gefühl als Jugendlicher, in der Gesellschaft keine eigene Zukunftsperspektive
zu sehen. Den Protest, den wir damals in der Verweigerung einer Anpassung
an gesellschaftliche Konventionen sahen, empfand ich auch bei den jungen
Leuten, die mir bei Colossal Youth begegneten. Im Laufe der Entwicklung dieser
Arbeit wurde mir jedoch meine interpretierende Position als Photograph sehr
bewusst: Das Geschehen, welches ich bei Colossal Youth miterlebte, war
nicht mehr mit dem meiner eigenen Jugend vergleichbar. Ich spürte auch,
dass ich ihren Lebensstil mit den Augen eines Erwachsenen betrachtete.
Es lagen mittlerweile mehr als zehn Jahre dazwischen. Aus dieser Spannung
zwischen Sympathie und Distanz entwickelte ich meine photographische
Aussage.

Beide Arbeiten thematisieren die Frage nach der Identität des Einzelnen in
der Gemeinschaft mit anderen. Die Menschen in beiden Gruppen suchen
soziale Kontakte. Sie schaffen Verhaltenskonventionen und demonstrieren
ihre Lebensweise nach aussen. Man kann sagen, dass die Eltern und
Familienmitglieder bei den Deutschen Volksfesten an einer Reihe von Regeln
festhalten, die vorherige Generationen für sie erschaffen haben, und an deren
Vermittlung für zukünftige Generationen sie jetzt selbst mitwirken. Vereinfacht
gesagt, lehnen die Menschen von Colossal Youth die Erziehung ihrer Eltern
und die Konventionen der Gesellschaft ab, und schaffen eine Lebensweise,
die diese Ablehnung ausdrückt. In der Weise, wie sie ihren Protest leben,
schaffen sie sich aber auch Regeln und Verhaltenskonventionen, die ihre
Lebensweise beeinflussen.

2.3. Wie in einen Spiegel schauen




Nach dieser intensiven Auseinandersetzung mit der Lebensweise anderer
Menschen, wollte ich mich mit meiner eigenen Identität beschäftigen.
Wie in einen Spiegel schauen ist schwerpunktmässig in den Jahren
1990 - 1995 in unserer Wohnung in Essen entstanden. Ich habe diese
räumliche Beschränkung gewählt, um mich für die Eindrücke
sensibilisieren zu können, von denen ich alltäglich umgeben bin.
Der Wechsel von Licht und Schatten inspirierte meine Wahrnehmung
vertrauter Lebensräme. Das Wachsen der Blumen verdeutlichte mir
die Entwicklung im Laufe der Zeit. Meine auslösende Intention war,
meinen damaligen Gemütszustand zu reflektieren und zu verarbeiten.
Ich begann, die sukzessive Veränderung meiner persönlichen
Befindlichkeit zu thematisieren. Ich wollte Selbstportraits anfertigen,
die den Eindruck vermitteln, als ob ich in einen Spiegel schauen würde,
und dadurch einen mir alltäglich vertrauten Anblick fixieren.

Zwischen meinem gedanklichen Impuls, ein Bild von meiner momentanen
Befindlichkeit aufzunehmen, und dem photographischen Ergebnis steht
der photographische Aufnahmeprozess, der eine ganz neue Situation
hervorruft. Nachdem ich die Kamera vor mir installiert habe, nehme ich
gedanklich eine Haltung und einen Gesichtsausdruck ein, von dem ich
annehme, dass er dem meines ursprünglichen Gefühls entspricht,
und löse die Kamera aus. Ich photographiere mein Gesicht, ohne es
zu sehen. Später treffe ich aus einer Vielzahl von Photos meine
bewusste Auswahl.

Ich dokumentiere einen Prozess der Selbstreflexion. Meine Motivation
war die Darstellung meiner Nachdenklichkeit, sowie meiner damaligen
Verletztheit, und der aus dieser Auseinandersetzung entstandene
Wille, mich zu entfalten.


3. Fazit und Ausblick
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Alle drei Arbeiten verbindet die Frage nach der Individualität eines Menschen.
Aus meiner bisherigen Erfahrung sehe ich Identität als eine Konstruktion,
die als Reaktion auf gesellschaftliche Notwendigkeiten im Laufe eines Lebens
ausgebildet und auch wieder verändert wird. In dem Kulturkreis, von dem
mein Denken geprägt ist, lernen die Menschen von Kindheit an, sich selbst
zu beurteilen und auch wieder andere zu beurteilen.

Bei den Deutschen Volksfesten und Colossal Youth reflektiere ich aus
dem Gefühl meiner Erinnerung Lebensphasen wie Kindheit und Jugend.
Ich sensibilisiere mich für Lebenssituationen, zu denen ich mich verbunden
fühle. Aus dieser kreativen Spannung zwischen meinem eigenen Interesse
und der Beobachtung anderer Menschen formuliere ich meine Bilder. Ich
werde mir meiner beobachtenden und gestaltenden Position als Photograph
bewusst, und befrage bei Wie in einen Spiegel schauen meine eigene
Identität. Aus dieser intensiven Auseinandersetzung mit mir selbst ist im
Laufe der Zeit immer kräftiger der Wunsch gewachsen, mich intensiver nach
aussen mitzuteilen und mit anderen Menschen zu kommunizieren.
Kolonien des Eigensinns, eine Auftragsarbeit der Stiftung Bauhaus, Dessau,
ist in den Jahren 1996 - 1997 entstanden. Sie vermittelt einen Einblick in die
heutige Lebenssituation der Menschen in Bitterfeld - Wolfen, der ehemaligen
Chemieregion zu Zeiten der DDR.

Bei meiner Arbeit The Good Earth thematisiere ich, im Zyklus der Jahreszeiten,
das Verhältnis des Menschen zur Natur und zeige eine ermutigende Auseinandersetzung
mit dem Alter.





Meine Erfahrungen mit dem photographischen Darstellungsprozess lassen mich das
Photographieren mit der Inszenierung eines Theaterstückes vergleichen. Bei einer
Theaterinszenierung werden die menschlichen Charaktere von Schauspielern
dargestellt. In der Photographie nimmt das Bild die Position eines Schauspielers ein.
Photographie arbeitet mit der Faszination einer inhaltlichen Mehrdeutigkeit und der
Präsentation eines photographisch fixierten Bildes, das von den Betrachtern selbst
interpretiert wird.

Sheridan College, Oakville, Canada - Okt. 1998

>>> SEEING AND BELIEVING // PHOTOGRAPHIE IM KONTEXT



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